Am LIMIT
Text: Thomas Huber
Die Nose am El Capitan: die wohl berühmteste Kletterroute der Welt. 1.000 Meter kompakter Granit – der zentrale Felspfeiler, gezeichnet von Licht und Schatten – trennt den El Cap in eine SW- und SO-Wand. An diesem Felswunder wurde Klettergeschichte geschrieben:
Warren Harding klettert 1958, nach nicht weniger als 41 Tagen harter Arbeit, als erster Mensch durch diese damals schwierigste Felsroute der Welt. Fast zwanzig Jahre dauert es, bis Jim Bridwell, John Long und Billy Westbay die Nose an einem einzigen Tag durchsteigen können – die Geburt des Speed-Kletterns.
Lynn Hill setzt 1994 einen Meilenstein der Klettergeschichte, als sie diese Route Rotpunkt klettert und das Team Yuji Hirayama/Hans Florine schockt im September 2002 die Kletterwelt mit einer Zeit von 2 Stunden 48 Minuten 50 Sekunden. Diese Rekordzeit ist für die gesamte Klettergemeinde unfassbar, unvorstellbar, jenseits jeglicher Realität und dadurch umso faszinierender.
Dabei sind die Regeln des Speedkletterns ganz einfach:
1.
| Das Team klettert so schnell als möglich vom Einstieg bis zum Ausstieg. Kletterstil: Alles ist erlaubt, vom technischen Klettern bis zum Freiklettern. Hauptsache schnell. Eine spezielle Präparierung der Route ist nicht zugelassen. |
2.
| Der Start ist am Beginn der ersten offiziellen Seillänge, d.h. das letzte Band am oberen Ende des Schrofenvorbaus. Endpunkt und somit Ziel der Speedbegehung ist der erste Baum 20 Meter nach dem letzten Standplatz. |
3.
| Der Routenverlauf ist klar durch die klassische Linienführung definiert. |
4.
| Die Zeit stoppt jeweils die Seilschaft selbst, Ehrlichkeit ist somit das höchste Gebot. Allerdings gibt es heute am El Capitan keine Geheimnisse mehr und wenn eine Seilschaft sich aufmacht, den Rekord an der Nose zu knacken, so darf sie sich sicher sein, von mehr als hundert Leuten beobachtet und bejubelt zu werden. |
5.
| Die Zeitnahme wird gestartet, wenn der Seilerste das Band verlässt. Die Zeit wird gestoppt wenn der Seilzweite den Baum erreicht. |
Klingt alles sehr einfach, aber die aktuelle Rekordzeit von Hirayama/Florine erhebt das Abenteuer Speed Nose zu einem der besonderen Kletterabenteuer unserer Zeit.
Im Zusammenhang mit der Kinoproduktion »Am Limit« nehmen wir im Herbst 2005 die Herausforderung an. Sehr früh erkennen wir, dass wir für dieses Ziel all unsere Erfahrung ausspielen müssen. Durch die radikale Sicherungstaktik suggeriert das Seil oft eine Sicherheit, die in der Realität so nicht vorhanden ist. Ein Fehler hätte oft fatale Folgen.
Bei unserem ersten Versuch im Herbst 2005 stürzt Alexander im leichten Gelände durch einen Griffausbruch 17 Meter in die Tiefe. Er hat Glück, dabei mit nur vergleichsweise kleinen Verletzungen an den Sprunggelenken davon zu kommen, unser Projekt muss aber abgebrochen werden.
Frühjahr 2006 unternehmen wir einen weiteren Versuch. Dieses Mal bin ich es, der während eines Rekordversuchs, der uns in die Nähe von 2:48 Stunden hätte bringen können, stürze. Ein Felsband bremst meinen Flug schmerzhaft: schwere Prellungen beenden vorzeitig unseren großen Traum. Trotz der Fehlschläge wird der Film »Am Limit« ein großer Erfolg. Das Scheitern und der Reiz, große Ziele zu verfolgen, reflektieren das Leben selbst. »Lebe deinen Traum, wenn nicht heute, dann morgen!« wird zum Leitsatz unserer Zukunft.
13. September 2007
Wir sind wieder im Yosemite. Zwei Tage später klettern wir in 10 Stunden durch die Nose, sind müde und enttäuscht. Nach dieser Begehung rückt der Rekord scheinbar wieder in weite Ferne, nur der Glaube an uns, der bleibt. Wir geben nicht auf! Nach einem Tag Erholung ziehen wir uns wieder diese 1.000 Meter rein – same procedure – und wir wiederholen es wieder und wieder…. Nach fünf Durchsteigungen ist gedanklich alles gespeichert, alle taktischen Raffinessen eingeschliffen, mental und körperlich die nötige Kraft vorhanden.
Unsere Team-Taktik
Wir klettern in 4 Blöcken. Ich starte, klettere bis zum Ende des Sickle Ledge, Alexander übernimmt die Seilführung bis zur Boot-Flake, ich übernehme wieder am Kingswing die Rolle des Seilersten bis zum Glowering Spot. Alexander sprintet die letzten Seillängen zum Gipfel.
Sicherungstaktik
Shortfixing und Simultanklettern.
Gear pro Block
Camelots von 0 bis 4, drei kleine Stopper, ein Cam Hook, 14 Expressschlingen und 20 Karabiner.
Dann geht alles viel schneller als erwartet. Schon während des sechsten Durchstiegs klettern Alexander und ich in »lockeren« 3 Stunden 18 Minuten durch die Nose. Wir sind überrascht, fühlen uns sehr fit am Gipfel des El Cap und wollen schon beim nächsten Mal einen »scharfen« Versuch wagen. Aber zunächst 3 Tage Pause.
4. Oktober 2007
7 Uhr morgens, wir starten… sind gut unterwegs… kurzer Zeitcheck am Boot: 1 Stunde 18 Minuten… wird knapp, aber mit Glück schaffen wir es… ich verliere am Great Roof eine Trittleiter… wir passieren mitten in der Changing Corner eine Seillschaft… verlieren wertvolle Zeit… Zeitcheck an der letzten Seillänge: kaum noch Chancen auf den Rekord… wenn, nur sehr knapp… wir geben alles… auf den letzten Metern… die Suunto stoppt bei 2:48,35 Stunden. Noch wissen wir nicht ob wir den Rekord haben.
Erst Stunden später bekommen wir die Bestätigung von Hans Florins Website www.speedclimb.com… seine exakte Zeit ist 2:48,50 Stunden. Wir waren ganze 15 Sekunden schneller. Kaum zu glauben, auf 1.000 Meter entscheiden 15 Sekunden. Wir feiern. Und wir wissen, wir haben einige Zeit auf der Strecke liegen lassen, die wollen wir uns noch holen.
8. Oktober 2007
Zweiter Versuch. Ohne Druck den Rekord schaffen zu müssen, wir haben ihn ja. Dieses mal kein Leiterverlust, aber wieder müssen wir zwei Teams kompliziert überholen, und verlieren wertvolle Zeit… und dennoch, es reicht. Wir sind noch schneller: die Zeit stoppt bei 2:45,45 Stunden.
Es ist geschafft, wir sind wie erlöst... Und für einige Kletterer ist eine neue Vision geboren, diesen Rekord zu knacken. Nichts ist für die Ewigkeit und das ist gut so.